top of page

bildung? ja – aber

  • Autorenbild: una seeli
    una seeli
  • 7. Nov.
  • 5 Min. Lesezeit
kreativity unplugged

think wild – and take humor seriously

ree

© una seeli


die wichtigste Nebensache der Welt

Picasso hat einmal gesagt: „Kinder werden als Künstler:innen geboren. Die Schwierigkeit liegt darin, als Erwachsene:r eine:r zu bleiben.“


Bereits 2006 hat Ken Robinson in seinem legendären TED Talk charmant und schmerzhaft klar auf den Punkt gebracht: Unser Bildungssystem – weltweit – funktioniert nach einer Logik, die Kreativität systematisch an den Rand drängt. Wir prioriesieren Mathematik und Sprachen, dann Geisteswissenschaften und ganz am Schluss kommt Kunst. Dabei zeigt gerade die Vielfalt menschlicher Vorstellungskraft, wie dringend wir ein Umdenken brauchen. Bildung, wie wir sie heute gestalten, orientiert sich vor allem an Verwertbarkeit und Vorhersagbarkeit – zwei Konzepte, die in einer Welt der radikalen Ungewissheit zunehmend ihre Relevanz verlieren.

I believe this passionately that we don’t grow into creativity, we grow out of it. Or rather we get educated out of it.

– Ken Robinson


Fast 20 Jahre später hat Robinsons Fazit leider noch immer Relevanz: wir bilden unsere Kinder aus ihrer Kreativität heraus. Nicht absichtlich, aber systematisch.

Das Problem ist nicht nur systembedingt, problematisch ist auch unsere Haltung zum Lernen. In der Schule tun wir uns bis heute schwer mit dem, was Kinder am meisten mitbringen: Neugier, Bewegungsdrang, Spielfreude – und Kreativität.



Intelligenz ist individuell – Talent auch

Wenn wir über Bildung sprechen, dann sprechen wir über Menschen – es geht dabei nicht um Systeme, Noten oder Rankings. Und der Mensch ist, das zeigt jede Kindheit, von Natur aus ein wissbegieriges Wesen. Wir wollen verstehen, gestalten, entdecken. Wir lernen mit allen Sinnen, nicht nur mit dem Kopf. Wir denken und verstehen die Welt auch mit dem Köper und mit der Seele. Und doch behandeln wir schulisches Lernen oft, als wäre es nur eine Frage des IQ. Wir sind aufgefordert, das Wesen von Intelligenz neu zu denken – nicht als Einzelleistung, sondern als individuelle Vielfalt.


Wir wissen drei Dinge über Intelligenz, sie ist vielfältig, dynamisch und individuell.

– Ken Robinson


Vielfältig – weil Menschen die Welt auf unzählige Arten wahrnehmen: Wir denken visuell, in Klängen, durch Sprache, durch Bewegung, Bilder oder durch soziale Resonanz.

Dynamisch – weil unser Gehirn in ständiger Bewegung ist – nie eindimensional, sondern ein pausenloses Wechselspiel von Sinneseindrücken, Erfahrungen und Ideen.

Und individuell – weil jeder Mensch auf eigene Weise lernt, denkt und Talent entwickelt.


Intelligenz zeigt sich also bei jedem Menschen anders. Eine ähnliche Perspektive auf Intelligenz findet auch in einem anderen Konzept Beachtung: Howard Gardners Theorie der neun Intelligenzen.


Vielfalt als Prinzip

Howard Gardner, amerikanischer Kognitionspsychologe, hat seine Perspektive auf menschliche Begabung in den 1980er-Jahren formuliert. Seine Theorie der Multiplen Intelligenzen geht davon aus, dass es nicht die eine allgemeine Intelligenz gibt – sondern eine Vielzahl unterschiedlicher Ausdrucksformen von Intelligenz, die je nach Person unterschiedlich stark ausgeprägt sind.

Gardner identifiziert neun Intelligenzformen:


  1. Linguistische Intelligenz – Sprache als Werkzeug zum Denken und Kommunizieren

  2. Logisch-mathematische Intelligenz – Denken in Mustern, Zahlen und Abstraktionen

  3. Bildlich-räumliche Intelligenz – das Denken in Bildern, Formen und Strukturen

  4. Musikalische Intelligenz – Sensibilität für Klang, Rhythmus und Tonhöhen

  5. Körperlich-kinästhetische Intelligenz – durch Bewegung, Gestik und Körperwahrnehmung lernen

  6. Intrapersonale Intelligenz – sich selbst verstehen, reflektieren, fühlen

  7. Interpersonale Intelligenz – andere Menschen lesen, verstehen und einfühlen

  8. Naturalistische Intelligenz – feines Gespür für Natur, Zusammenhänge, Klassifikationen

  9. Existenzielle Intelligenz – Sinnfragen stellen, sich mit dem „grossen Ganzen“ beschäftigen


Gardners Modell widerspricht der Reduktion auf standardisierte IQ-Tests und legt den Fokus auf das individuelle Begabungsprofil eines Menschen – auf das, was ihn ausmacht und antreibt. Genau wie Robinson beschreibt auch Gardner Intelligenz als vielfältig und individuell.

In der Begabungs- und Begabtenförderung (BBF) orientieren wir uns deshalb bewusst an dieser Vielfalt. Wir fragen nicht: Wie intelligent ist ein Kind? Sondern: Wie und wo zeigt sich seine Intelligenz? Welche Zugänge, Ausdrucksformen und Interessen helfen ihm, seine Potenziale zu entfalten? Intelligenz zeigt sich nicht in der Norm – sondern in der Nuance.



in der Schule war sie wirklich hoffnungslos

Wie existenziell dieser Perspektivwechsel sein kann, zeigt die Geschichte von Gillian Lynne, einer weltberühmten Choreografin, deren Leben auch eine andere Wendung hätte nehmen können.

Robinson erzählt, wie sie als Kind in der Schule als „Problemfall“ galt – zappelig, unaufmerksam, unkonzentriert. Man vermutete eine Lernschwäche bei dem Mädchen und so wurde

ihre Mutter zu einem Spezialisten geschickt. In einem holzgetäfelten Raum schilderte sie dem Arzt die Symptome, während Gillian stumm auf einem Stuhl daneben sass. Nach einiger Zeit sagte der Arzt: „Ich möchte mit deiner Mutter kurz allein sprechen.“ Beim Hinausgehen schaltete er ein Radio ein und Musik erfüllte den Raum.

Sobald sie allein war, stand Gillian auf – und begann zu tanzen. Sie bewegte sich zur Musik, völlig frei, ganz bei sich. Der Arzt beobachtete das durch die Tür und sagte dann: Ihre Tochter ist nicht krank. Sie ist eine Tänzerin. Schicken Sie sie auf eine Tanzschule.

Was folgte, glich einer Offenbarung: Gillian kam in eine Schule, in der sie nicht mehr „anders“ war. Dort traf sie andere Kinder, die – wie sie – in Bewegung dachten.

Lynn beschrieb es so: "Ich kann kaum beschreiben, wie toll das war. Wir kamen in diesen Raum und er war voller Menschen wie mir – Leute, die nicht still sitzen konnten – Leute, die sich bewegen mussten, um zu denken." – Sich bewegen, um zu denken.


So wurde Lynn Tänzerin. Sie machte Karriere beim Royal Ballet, gründete die Gillian Lynne Dance Company, sie choreografierte Musicals wie "Cats" und „Phantom der Oper“ – und inspirierte Millionen von Menschen. Ihre Karriere machte sie zur Multimillionärin.


Jemand anderes hätte ihr Medizin verschrieben und gesagt, sie solle sich beruhigen.

– Ken Robinson


Eine berührende Geschichte darüber, was passieren kann, wenn Menschen ihr Talent entdecken. Es ist faszinierend, zu verstehen, wie Menschen dorthin kommen. Das sollte unser Ziel sein – oder?



mehr ist mehr

Was wäre, wenn nicht Gleichschritt und Vergleichbarkeit das Ziel wäre – sondern Potenzialentfaltung?

Wenn Schule nicht versuchte, alle Kinder zur selben Zeit auf denselben Stand zu bringen – sondern jede:n an den Punkt, wo sie oder er aufblüht?

Talente sind nicht gleichverteilt. Sie sind verschieden – und genau darin liegt ihr Wert. Nicht jede:r denkt analytisch. Nicht jede:r drückt sich am besten schriftlich aus.

Vielfalt ist kein pädagogisches Problem. Sie ist das Potenzial einer Gesellschaft.


Wenn wir Kinder ernst nehmen, wenn wir ihre individuellen Zugänge und Ausdrucksformen nicht als Abweichung, sondern als Bereicherung sehen – dann bildet Lernen etwas viel Grösseres: Identität.

Und vielleicht ist genau das der eigentliche Bildungsauftrag: Menschen in ihre Kraft zu bringen – nicht in die Form.




inspirierend:

Ken Robinson, britischer Professor für Kunsterziehung, galt als massgeblicher Denker und Fürsprecher der Kreativität. Der Link führt dich zu seinem legendären TED Talk über Kreativität (2006):

Do schools kill creativity?


ree

by sebastiaan ter burg - flickr: sir ken robinson @ the creative company conference, CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=14534304

Kommentare


bottom of page